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Fritz Husmann    

Der Zeichner, Graphiker und Maler Fritz Husmann wurde erst im Alter von fünfzig Jahren einem größeren Kreis jüngerer Kunstfreunde bekannt, als er 1946 seinen Zyklus „Aus Tagen der Not“ in der Hamburger Kunsthalle ausstellte: erschütternde Darstellungen aus Bombennächten und Luftschutzbunkern, von Bedrängten und Betenden, Verzweifelnden und einander Tröstenden, von Feuer und Asche, von der Flucht aus dem Bunker in die Nacht oder dem langen Treck den Namenlosen, der im Schneesturm über die weite Ebene zieht.

Eindrücke und Erlebnisse während der Hamburger Katastrophe im Jahre 1943 und aus der folgenden Zeit der Trümmer und Entbehrungen formten sich in Husmanns nächtliche Szenen zu künstlerischen und zeitgeschichtlichen Dokumenten von äußerster Aussagekraft, wie sie hierzulande um jene Zeit sonst nirgendwo entstanden – nur vergleichbar den 1941 entstandenen, doch völlig andersartigen „shelter drawings“ von Henry Moore aus den tiefen Tunneln der Londoner U-Bahn, in denen die vor Bomben flüchtenden Menschen Schutz suchten und in dichten Reihen zusammengedrängt liegend nur einen angstvoll ruhlosen Schlaf fanden.

Wie bei Moore dominiert auch bei Husmann der Menschen gegenüber seiner Umwelt, er allein beherrscht die Szene, aktiv oder passiv, leidend und aufbegehrend, als eine Monade im unablässigen Strom des Geschehens, von dem er im wörtlichen und übertragenen Sinne „betroffen“ und „ergriffen“ wird. „Im Mittelpunkt des Husmannschen Schaffens steht der Mensch, und ich glaube, es gibt kein Blatt von seiner Hand, das nicht von einem Menschen handelt“, erklärte bereits Carl Albert Lange in seiner Ansprache zur Eröffnung der genannten, damals vom Kunstverein in Hamburg veranstalteten Ausstellung am 30. November 1946, „der Mensch allein und einsam, der Mensch zu zweien und dreien, der Mensch in Gruppen und in Scharen, in Massen – das ist das immer von neuem in schier endloser Folge behandelte Thema. Scénes de la vie humaine könnte man sein Werk überschreiben…“.

Neben dem Leitmotiv „der Mensch“ fällt schon auf den ersten Blick eine Vorliebe des Künstler für das Düstere und Dramatische, für bewegte Gestik und leidenschaftlichen Gefühlsausdruck, für flackerndes Dämmerlicht und malerische Helldunkelkontraste ins Auge. Husmanns Zeichnungen sind in ihrem Wesen nach ausgesprochen malerisch, mehr gemalt als gezeichnet. Das gilt besonders für die Tuschpinselblätter, die meistens in monochromen Tönen zwischen Schwarz, Grau und Sepia gehalten sind und nur selten Farbakzente aufweisen. Umso differenzierter wirkt seine reich abgestufte Tonskala zwischen Schwarz und Weiß, Hell und Dunkel, Licht und Schatten.

Doch blieb Husmanns Zeichenweise nicht allein auf die betont malerische Tuschzeichnung beschränkt. Der Künstler beherrscht eine breite Skala zeichnerischer Ausdrucksmöglichkeiten, die sich von der malerischen Sepiazeichnung bis zum skizzenhaften Ausdruckstenogramm erstreckt, das er vor allem bei der Darstellung der Bewegungen des Tanzes und der charakteristischen Gesten von Tänzern souverän handhabte. Sein Menschenbild, sein Helldunkel, sein Zeichen- und Pinselstrich wurzeln in stilistischer Hinsicht in einer weit zurückreichenden abendländischen Tradition und klingen dabei von ferne an mancherlei verschiedenartige Vorbilder von Rembrandt und Goya bis zu Daumier, Slevogt und Käthe Kollwitz.

Fritz Husmann ist ein geborener Zeichner. Von Anfang an konnte er sich im Medium der Zeichnung am unmittelbarsten und treffendsten ausdrücken, viel besser als in Wort oder Schrift. „Es ist nur gut, dass ich keine Kunstbetrachtungen schreiben muss“, heißt es zu Beginn eines Aufsatzes mit dem Titel „Fritz Husmann über sich selbst“, der im September 1941 in der Zeitschrift „Deutscher Kulturrat“ mit acht Abbildungen seiner Werke erschien, „ich würde mich und die Leser bedauern, denn ich habe zu wenig Talent, mit dem geschrieben Wort eine lebendige Darstellung zu geben… Aus diesem Grund habe ich meinen Aufsätzen in den ersten Schulanfängen oft eine illustrierende Zeichnung hinzugefügt, um meinem Lehrer klar zu machen, dass ich die Dinge weit stärker erlebte, als es aus dem Geschriebenen hervorgehen konnte…“

Doch erst auf mancherlei Umwegen gelangte der 1896 in Bremen geborene Husmann viel später dazu, ein Zeichner von künstlerischem Rang zu werden. „Dass die Kunst etwas sei, was man zu seinem Vergnügen betreiben könne, war auch die Meinung meines Vaters“, berichtet Fritz Husmann in dem gleichen Aufsatz von 1941. „Darum oder trotzdem sollte ich aber etwas Vernünftiges werden. Weil ich aber, bestärkt durch das Zuraten meiner Lehrer, von diesem hohen Ross nicht herunter wollte, ließ er mich gewähren, mit de, Geleitwort: Bist du Gottes Sohn, so hilf Dir selber! Ich erlernte das Malerhandwerk und besuchte sogar in dieser Zeit ein Semester die Kunstgewerbeschule meiner Vaterstadt Bremen. Ich lernte Perspektive konstruieren, sowohl aus einem als auch aus zwei Fluchtpunkten heraus, was mich alles gar nicht interessierte, um nach Beendigung der Lehre an einen Punkt anzugelangen, an dem ich selber die Flucht ergreifen wollte… Da kam der Krieg und bestimmte mich zum Soldaten und zum Stürmen. Dies war das Jahr 1915. Ich erlebte und sah viel, war auf dem Balkan, in Frankreich und England, wo ich ein Jahr hinter Stacheldraht zubrachte. Im Oktober 1919 kam ich zurück. Inzwischen war ich um einiges gewachsen, und da mir alles, nicht nur die aufbewahrte Kleidung, zu eng geworden war, ging ich nach Hamburg auf die Schule und bestätigte mich auf dem Gebiet der angewandten Kunst, der farbigen Raumgestaltung und der Wandmalerei. Ich erhielt öffentliche Aufträge, wie die farbige Gestaltung von Schulen, Siedlungen, Kapellen und Glasfenstern. 1931 erinnerte ich mich dessen, was ich eigentlich gewollt hatte, und seitdem bin ich Zeichner, Graphiker und Maler.“

Bevor Husmann sich von nun an vorwiegend der Zeichnung und Malerei widmete, hatte er in den zwanziger Jahren unter Fritz Schumacher in Hamburg bereits zahlreiche öffentliche Aufträge für Schulen, Krankenhäuser und andere staatliche Bauten erhalten. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg hat er vor allem in der fünfziger Jahren des Wiederaufbaus für Kirchen und Schulen von neuem „Kunst am Bau“ in Form von Wandmalerei, Wandkeramik, Steinemaille, Eisenplatten und Holzskulpturen geschaffen, wovon einige Abbildungen am Ende dieses Katalogs Zeugnis ablegen.

Die ausdrückliche Hinwendung zur Zeichnung als bildnerisches Ausdrucksmittel war 1931 nicht ohne äußeren Anlass erfolgt. Aufgrund der Weltwirtschaftskrise bleiben seit Beginn der dreißiger Jahre die öffentlichen Aufträge für staatliche Bauten fast völlig aus. Husmanns spezifische Begabung ermöglichte es ihm, sich nunmehr in erster Linie als Pressezeichner – und nebenher auch als Bildhauer zu betätigen. Die künstlerische Pressezeichnung wurde seitdem sein eigentliches Metier. Besonders durch seine Theaterskizzen machte sich Husmann bereits frühzeitig einen Namen. Als kritische Beträge zum Bühnengeschehen in Hamburg wurden sie schon 1932 im Kunstverein der Hansestadt ausgestellt und in einem Zyklus von der Griffelkunst-Vereinigung erworben. Ein Jahr zuvor war Husmann bereits auf den Ausstellungen „Künstlerische Pressezeichnung“ und „Gezeichnete Kunstbetrachtung“ mit seinen Arbeiten vertreten gewesen.

In der Retrospektive, die aus Anlass des 85. Geburtstages von Fritz Husmann im Kunsthaus in Hamburg stattfindet, lässt sich sein Entwicklungsweg im Medium der Zeichnung in allen Phasen verfolgen. Den Auftakt bilden Blätter aus der Zeit vor 1933. Die Bildnisse des Vaters und der Mutter von 1931 kennzeichnet ein exakter Realismus, der in einer spezifischen deutschen Tradition seit Leibl und Thoma wurzelt. In Federzeichnungen wie „Altenteiler“, „Streckengänger“ und „Streichholzverkäufer“ erscheint ein sozial engagierter Realismus ins Ausdruckshafte und Stimmungsvolle gesteigert, um das psychische Fluidum der Dargestellten als Außenseiter der Gesellschaft zu veranschaulichen. Skizzen wie „Der Abgang“ von 1932 lassen bereits Husmanns besondere Begabung erkennen, das Momentane des Geschehens in Dauerhafte zeichnerische Formen zu bannen, wobei ein fein gesponnenes Netz einander überlagernder Striche zu den dominierenden Ausdrucksmitteln gehört. In den Blättern „Der Krämer“ oder „Die Alte mit der Lampe“ kommt dann erstmals jene betont malerische Zeichenweise mit dem Pinsel zum Ausdruck, die dann später in dem dunkeltonigen Zyklus „Aus Tagen der Not“ von 1943/46 ihren bildnerischen Höhepunkt erreicht. Auch in den „Feierabend“-Darstellungen heimkehrender Hamburger Hafenarbeiter war sie bereits vorgeformt, hier jedoch stärker reportagehaft im Zugriff.

Von den realistisch packenden und zugleich symbolisch überhöhten Schilderungen der Bombennächte und Luftschutzkeller war eingangs ausführlich die Rede. Weitre wichtige Kapitel im Schaffen von Husmann markieren die Illustrationen zu Erzählungen von Theodor Storm und Friedrich Hebbel, die Skizzen zu Theaterszenen von Cervantes bis Kokoschka, die Opernzeichnungen von „Don Giovanni“ bis zur „Lulu“ und „Dreigroschenoper“ und vor allem die prägnanten Tanzstenogramme von Ausdruckstänzern wie Mary Wigman, Gret Palucca, Yvonne Georgi, Dore Hoyer und Harald Kreutzberg. Mit nur wenigen Strichen oder Akzenten gelang es dem Künstler, die besondere Atmosphäre eines Stückes oder die typische Geste eines Schauspielers oder Tänzers zu veranschaulichen. Das Düstere und Dramatische lag ihm dabei meistens mehr, als das Heitre und Unbeschwerte, der Ausdruckstanz stand ihm näher als das klassische Ballett. Die meisten Skizzen von Husmann wurden als Pressezeichnungen aus aktuellem Anlass geschaffen. Retrospektiv gesehen bilden sie über den äußeren Anlass hinaus gültige Zeitdokumente die von Tagen der Not und Stunden des Glücks berichten, gleichzeitig auch über den belebten Augenblick weisende Urbilder vom Menschen und seinen elementaren Gesten im Spannungsfeld zwischen Hell und Dunkel.

Hanns Theodor Flemming